Prof. Dr. Theo Seidl verstorben

Im Glauben an die Auferstehung verstarb im 50. Priesterjahr

H. H. Prof. Dr. Theodor Seidl

Professor am Lehrstuhl für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen, Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Würzburg, 1991 – 2010

In Dankbarkeit nehmen wir Abschied:
Abt Markus Eller OSB
für das Kloster Scheyern

P. Benedikt Friedrich OSB
für die Solidarpfarrei Scheyern

 

Predigt zur Beerdigung Theo Seidl, am 05.03.2025 
Abt Markus Eller OSB, Kloster Scheyern


                    Lesung: Psalm 63              
                    Evangelium: Mk 9,2-10

Liebe Familie Seidl, liebe Weggefährten, Freunde und Bekannte von Theo Seidl,

liebe Scheyrer Mitbrüder,
liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst,
liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Als ich am vergangenen Samstag auf meinem Handy die Nachricht gelesen habe, dass Theo Seidl verstorben ist, da war ich im ersten Moment schon überrascht, wie Sie alle und viele andere wahrscheinlich auch, die diese Nachricht in den vergangenen Tagen erreicht hat.
Der zweite Gedanke war: Jetzt hat er es geschafft! Es war der Gedanke an Erlösung. Ich wusste und ich habe es auch immer wieder gesehen, dass Theo Seidl seit über einem Jahr gesundheitlich schwer angeschlagen war und dass er irgendwie „immer weniger wurde“, wie man den gesundheitlichen Verfall eines Menschen zu umschreiben versucht.

Vor gut zwei Wochen war er noch hier in unserer Basilika, um mit uns die Sonntagsvesper zu feiern. Das für ihn so charakteristische freundliche Lächeln war wie eh und je da. Und die Worte, die vor oder nach der Vesper mit ihm gewechselt wurden, zeigten, dass er geistig hellwach und auch zum Scherzen aufgelegt war.

Mit der Nachricht von seinem Tod gehört aber auch das schlagartig und endgültig der Vergangenheit an.

Auf dem Weg zu seinem Haus am Benediktenweg – um ihn noch einmal zu segnen und Segensworte auf seinen letzten irdischen Weg mitzugeben – ging mir durch den Kopf, wie ich ihn kennenlernen und erleben durfte und dann auch die Frage, wie man dieses Leben, von dem ich weiß, dass es so vielfältig und umfangreicher als meine Erinnerungen ist, irgendwie in Worte fassen könnte. Mir fiel ein Psalmvers ein, der das vielleicht ein Stück weit kann: Gott, du mein Gott, dich suche ich. Wir haben ihn in der Lesung aus dem Psalm 63 gehört. 

Theo Seidl war für mich ein Gottsucher, ein unermüdlicher, eifriger und verlässlicher Gottsucher, der es auf ganz unterschiedlichen Ebenen unternahm, diesem Gott näher zu kommen, ihm auf der Spur zu bleiben. Gott, du mein Gott, dich suche ich.

Der heilige Benedikt will, dass seine Mönche wahrhaft Gott suchen. Seit über 900 Jahren wird das hier an diesem Ort in unserem Kloster versucht. Theo Seidl ist in der unmittelbaren Nachbarschaft unseres Klosters aufgewachsen. Im Gespräch mit Ihnen, lieber Manfred Seidl, habe ich erfahren, dass das Sie, die Kinder der Familie Seidl, interessiert und fasziniert hat, was hier an diesem Ort geschah, wie gesungen und gebetet wurde. Theo hat das als Kind mit Begeisterung „nachgespielt“. Irgendwann hat er gemerkt, dass hinter diesem „Spiel“, mehr steckt, nämlich ein Lebensentwurf, eine Lebensaufgabe: Gott, du mein Gott, dich suche ich.

 Als er seiner Familie eröffnete, dass er nach dem Abitur an unserem Klostergymnasium Theologie studieren und auch Priester werden möchte, ist das nicht nur auf Begeisterung gestoßen, sondern es wurde ihm auch zu bedenken gegeben, was das bedeutet.

Auf diesem Weg, den er eingeschlagen hat, ist er Menschen begegnet, die ihn bestärkt und unterstützt haben, Gott zu suchen. Vielleicht liegt in diesem Beispiel von Menschen ein Grund für den Entschluss, nicht in der Gemeindeseelsorge zu bleiben, sondern sich der theologischen Forschung und Lehre zu widmen, um junge Menschen nicht einfach nur auszubilden, sondern sie dafür auch zu begeistern und selber diesem Gott unablässig auf der Spur zu bleiben: Gott, du mein Gott, dich suche ich.

Nach dem Studium in München und seiner ersten Stelle an der Münchner Universität war er fast 20 Jahre als Ordinarius für Altes Testament an der Katholisch Theologischen Fakultät der Universität in Würzburg tätig. Gegen Ende dieser Tätigkeit im Jahr 2009 erhielt er den „Preis für gute Lehre“, dazu wurde er von seinen Studenten vorgeschlagen. Es war ihm etwas gelungen, was ihn mit Freude erfüllte und zugleich anspornte.

„Theo Seidl war davon überzeugt, dass eine seriöse Auslegung des Alten Testamentes nur mit profunden Kenntnissen in Hebräisch möglich ist. Diese Kenntnisse vermittelte er den Studierenden – und zwar so gut, dass auch weniger Sprachbegabte Freude an der Auseinandersetzung mit den Urtexten gewannen. Wichtig war ihm in der Lehre, das Fortwirken des Alten Testamentes in Musik, Literatur und Kunst der Neuzeit zu demonstrieren.“ Dieser Auszug aus der Würdigung zum Preis für gute Lehre schlägt auch die Brücke, wo Theo Seidl das in seinem Leben noch verwirklichte: Gott, du mein Gott, dich suche ich.

 Zeitlebens hat er sich ganz unterschiedlich für Musik begeistert und engagiert. Davon haben wir hier in Scheyern besonders nach seiner Emeritierung im Jahr 2010 profitiert. Beinahe selbstverständlich war er eifriges Mitglied in unserem Basilikachor. Vielen Sängerinnen und Sängern hat er durch seine theologischen Kenntnisse die musikalischen Werke vor allem bei den Pfingstmusiktagen auf dem Petersberg noch in anderer Weise erschlossen.

Den Professor der Theologie ließ er sich nie „heraushängen“, vor allem dann nicht, wenn er Menschen seelsorglich begleitete, und mit ihnen bei Taufen, bei Trauungen und bei Beerdigungen nach Sinn, nach Glück und nach Trost suchte: Gott, du mein Gott, dich suche ich.

An allen Orten, an denen er tätig war, war ihm das wichtig, mit Menschen Gott zu suchen, sie dabei zu unterstützen. Viele Verbindungen und auch Freundschaften sind daraus erwachsen, die bis heute andauern.

Fast 15 Jahre war er nun hier in seiner Heimat bei uns in Scheyern in der Seelsorge mit eingesetzt. Von Ruhestand war keine Spur; ganz selbstverständlich war er bereit, Kasualien zu übernehmen und praktisch jedes Wochenende Gottesdienste zu halten, im Bibelkreis die Botschaft des Glaubens mit Menschen zu teilen, Einkehrtage und Exerzitien auch in anderen Klostergemeinschaften zu gestalten. Er begleitete auch noch Pilgerfahrten ins Heilige Land. An einer durfte ich selber teilnehmen. Seitdem weiß ich, dass Steine sprechen können.

Für all das darf ich ihm im Namen unseres Erzbistums, zu dem er als Priester ja gehörte, Dank und Anerkennung aussprechen.

Als Abt unsers Klosters bin ich ihm dankbar für seine Verbundenheit mit unserem Haus und unserer Gemeinschaft. Er hat am Leben unserer Mitbrüder in Freud und Leid Anteil genommen, hat Projekte unterstützt, sich für unsere vielen Baustellen interessiert und sich über jede Fertigstellung mitgefreut.

Gott, du mein Gott, dich suche ich. Geselligkeit spielte dabei für Theo Seidl eine große Rolle. Nicht zu vergessen sind deshalb heute die Weinbergkickers, die er mit ins Leben gerufen hat und bei denen er sich lange selber sportlich engagierte. Und als Fan des 1860 München hat er bewiesen, dass es Treue braucht, die nicht vom Erfolg abhängt: „Einmal Löwe, immer Löwe.“ Als wir am vergangenen Sonntag bei allen Gottesdiensten in unserer Basilika für den Theo gebetet hatten, sagte ein Teilnehmer der Frühmesse beim Hinausgehen: „Wieder ein Löwe weniger.“

Gott, du mein Gott, dich suche ich. Die letzte Etappe seines Lebens hat ihm dabei viel, sehr viel abverlangt und ist ihm wohl auch am schwersten gefallen. Von einem Moment auf den anderen war er so eingeschränkt und bedingungslos auf Hilfe angewiesen.

Im Evangelium haben wir heute die Geschichte von der Verklärung Jesu auf dem Berg Tabor gehört. Ein Ort, der Theo Seidl mit dem Geschehen wohlbekannt war. Wir haben gehört, dass Jesus seine Jünger mit auf den Berg nimmt. Was sich dort ereignet, ist sicher ein Höhepunkt, eine Sternstunde in ihrem Leben gewesen. Aber Sternstunden vergehen genauso schnell wie alle anderen Stunden auch. Deshalb können und dürfen sie nicht oben bleiben, sondern sie müssen den Berg wieder hinunter gehen. Meistens ist der Abstieg viel anstrengender als der Aufstieg.

Das letzte Jahr im Leben von Theo Seidl war ein beschwerlicher Abstieg. Ich glaube, es ist in seinem Sinne, wenn ich an dieser Stelle seiner Familie und allen danke, die ihn bei diesem Abstieg begleitet, ihm geholfen und ihn gepflegt haben, die ihn spüren ließen, du bist nicht allein auf diesem Weg, der nicht nur dein letzter sein wird, sondern der auch ein großes Ziel hat.

Von den Jüngern heißt es im Evangelium, dass sie ein Wort von Jesus sehr beschäftigte, denn sie fragten einander, was das sei: von den Toten auferstehen. Ich glaube für Theo Seidl hat sich in seinem letzten Lebensjahr nichts verklärt, sondern es hat sich viel geklärt: Gott, du mein Gott, dich suche ich.

Die Psalmen waren Theo Seidl sehr vertraut, er kannte sie in und auswendig. Er wusste, dass sie sehr ehrlich sind, dass sie nichts schönreden. Der Psalm 63, den wir heute in der Lesung gehört haben, thematisiert die verschiedenen Facetten der Sehnsucht nach Gott. Sehnsucht ist nicht unbedingt immer ein angenehmes Gefühl, sondern Sehnsucht fordert Menschen heraus und kann sie an ihre Grenzen bringen. Aber Sehnsucht hat auch ein großes Ziel.

Von diesem Ziel werden wir heute singen in einer Vertonung von Psalm 91 aus dem Gotteslob, wo es heißt: „Denn dies hat Gott uns zugesagt: Wer an mich glaubt, sei unverzagt, weil jeder meinen Schutz erfährt; und wer mich anruft, wird erhört. Ich will mich zeigen als sein Gott, ich bin ihm nah in jeder Not; des Lebens Fülle ist sein Teil, und schauen wird er einst mein Heil.“ (GL 423/3)

„Und schauen wir er einst mein Heil.“ Das wünsche ich Theo Seidl und das wünsche ich uns allen, die wir heute von ihm Abschied nehmen und für sein Leben und sein Lebenszeugnis danken. Gott, du mein Gott, dich suche ich.


Wort der Anteilnahme zum Tod von Prof. Dr. Theodor Seidl
Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Würzburg

Geboren am 15. September 1945 in München, absolvierte Theodor Seidl 1964 sein Abitur am Gymnasium der Benediktiner in Scheyern. Am 29. Juni 1975 wurde er in Freising zum Priester geweiht. Ins selbe Jahr 1975 fällt nach einem Studium der Theologie an der Ka-tholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München ebenda auch seine Promotion zum Doktor der Theologie mit einer Arbeit über Jeremia 27-29; eine literaturwissenschaftliche Studie, die 1977 und 1978 in zwei Teilbänden veröffentlicht wurde.
1982 dann habilitierte sich Theodor Seidl ebenfalls in der Landeshauptstadt für das Fach „Alttestamentliche Einleitung und Exegese und biblisch-orientalische Sprachen“. Die Arbeit wurde noch im selben Jahr unter dem Titel „Tora für den ‚Aussatz‘-Fall. Literarische Schichten und syntaktische Strukturen in Levitikus 13 und 14“ in St. Ottilien publiziert.
Beruflich blieb Theodor Seidl seiner bayerischen Heimat treu. Nach einigen Jahren als Privatdozent wirkte er von 1986 bis 1991 als Professor für Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der LMU München. Zum 1. Mai 1991 folgte er einem Ruf auf den Lehrstuhl für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, den er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2010 innehatte.
Prof. Dr. Theodor Seidl war eine stets rege und engagierte Persönlichkeit sowie ein hoch gebildeter, kenntnisreicher und überaus fleißiger Wissenschaftler, der bis ins hohe Alter hinein wissenschaftlich publizierte. Die jüngste Publikation auf seiner Literaturliste datiert von 2023 – glücklich, wem solche Schaffenskraft bis ins Alter gegeben ist.

Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit waren hebräische Sprachwissenschaft, Kulttexte sowie Formen prophetischer Sprache. Es finden sich aber auch Texte zu Einleitungs- oder Grundsatzfragen der alttestamentlichen Wissenschaft sowie Brückenschläge hin zu den Musikwissenschaften unter seinen Publikationen. Letzteres darf vielleicht auch als Ausdruck des Umstands gelten, dass Theodor Seidl nicht nur ein angesehener Exeget, sondern auch ein begabter Cellist war.
Theodor Seidl war ein engagierter und beliebter Hochschullehrer, dessen Engagement gerade für benachteiligte Studierende neben den wissenschaftlichen Belangen auch soziale Unterstützung umfasste. An die von ihm angebotenen Exkursionen nach Israel, in die Türkei oder nach Jordanien erinnern sich ehemalige Studierende bis heute gern.
Was gegenwärtig in universitären Sprachwelten bevorzugt Transfer oder auch Third Mission genannt wird, war Theodor Seidl ein besonderes Anliegen: die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse in breitere interessierte gesellschaftliche und kirchliche Kreise hinein.

Seien es die Mariannhiller Missionare, die Benediktinermönche von Scheyern, die Würzburger Domschule oder das Rudolf-Alexander-Schröder-Haus, sei es St. Ursula in Leipzig oder auch die Musikwoche in der Wieskirche (der sogenannte Wieser Musikherbst): Wo immer Theodor Seidl vorgetragen hat, verstand er es stets, exegetisches Wissen kompakt, verständlich und lebensnah zu vermitteln. Wenn es der Kontext erlaubte, verband er auch seine hohe musikalische und musikwissenschaftliche Kompetenz mit den Kenntnissen biblischer Texte.

Stets war Theodor Seidl auch um die aktive Mitgestaltung der Fakultät und der Universität Würzburg bemüht, etwa im Amt des Dekans, das er von 1997 bis 1999 innehatte.
Über ein halbes Jahrhundert war Theodor Seidl Priester. Diese geistliche Seite seiner Existenz wusste er in all den Jahren immer mit Leben zu füllen. Regelmäßige sonn- wie werktägliche Gottesdienste, Feiertagsaushilfen in ganz Unterfranken und schließlich die sonntägliche Eucharistiefeier im Veitshöchheimer Seniorenheim waren ein fester Bestandteil seines Alltags. Hinzu kamen Tätigkeiten als geistlicher Begleiter, etwa bei der Begleitung spiritueller Gruppen im Priesterseminar oder auch als Begleiter auf Pilgerreisen des bayerischen Pilgerbüros und Kulturreisen des Seniorenforums.
Fast 80 Jahre Lebenszeit sind eine lange Zeit, fast 50 Jahre priesterliches Wirken nicht minder. Über annähernd zwei Jahrzehnte war Prof. Dr. Theodor Seidl ordentlicher Professor und Lehrstuhlinhaber an der Universität Würzburg.
Die Katholisch-Theologische Fakultät ist ihm für seinen engagierten Einsatz in Forschung und Lehre zu großem Dank verpflichtet. Er war eine von Studierenden und Lehrenden gleichermaßen geschätzte Persönlichkeit, deren hohe fachliche Kompetenz sich mit einem großen Maß an Freundlichkeit, Herzlichkeit und Humor verband.

Ich persönlich habe Theodor Seidl nicht mehr im aktiven Dienst erlebt, dafür bin ich noch nicht lange genug in Würzburg. Wohl aber durfte ich den pensionierten Kollegen bei verschiedenen Gelegenheiten treffen und zumindest ein wenig kennenlernen. Man erzählt sich, dass er bei Lehrenden wie Studierenden unserer Fakultät den liebevollen und wert-schätzenden Spitznamen „Papa Seidl“ trug. Bei unseren wenigen Begegnungen konnte ich erahnen, wieso er ganz zu Recht so genannt wurde.

Die Katholisch-Theologische Fakultät trauert um einen geschätzten und beliebten Kollegen und wird sein Andenken in hohen Ehren halten.
Die Fakultät wird des Verstorbenen in der Abendmesse am Donnerstag, 27. März 2025, um 17.30 Uhr in der Mutterhauskirche der Erlöserschwestern bei uns auf dem Fakultätsgelände in der Würzburger Innenstadt gedenken.

Prof. Dr. Matthias Remenyi, Dekan